„Es wird anders werden und dieses anders wird gut“
22.03.2023
Olaf Petzold verabschiedet sich in den Ruhestand – Interview über 45 Dienstjahre
Was ist das Wichtigste, wenn man in Rente geht?
Olaf Petzold: Das Loslassen. Ich bin mir sicher, dass alles auch ohne mich sehr gut funktionieren wird. Es wird anders werden und dieses anders wird gut. Manches fühlt sich seltsam an – zum Beispiel die Jahresplanung mit Terminen, die mich nicht mehr betreffen. Wirklich fehlen werden mir die Kolleginnen und Kollegen, da kommt schon Abschiedsschmerz auf.
Du bist in Tempelhof aufgewachsen. Was war dein erster Kontakt zur Kirche?
Die Kinderkirche am Samstagabend in Mariendorf-Ost. Meine Mutter hat dafür gesorgt, dass ich dahin gehe. Die hat auch jeden Abend mit mir gebetet. Noch prägender war der Konfirmandenunterricht mit Pfarrer Helmut Jenner. Der hat uns Teenagern etwas zugetraut. Über ihn kam ich zur Jugendarbeit. Ich war verantwortlich, den Jugendkeller auf- und abzuschließen – mein erster Vertrag! Das war schon aufregend damals im beschaulichen Tempelhof, in dem auch mal Motorrad-Gangs für Alarmstimmung gesorgt haben.
Was hat dich bei Kirche gehalten?
Ich hatte viel Freiraum, um die Jugendarbeit in Magdalenen zu gestalten. Dann natürlich die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen – besonders im lebendigen Neukölln. Und auch die ein oder andere Rückmeldung wie: ‚Ohne deine Unterstützung wäre ich abgerutscht.‘ Das Beste waren die Jugendreisen – von Finnland bis Ägypten, von Polen bis San Francisco. Wenn du 80 Teenager heil im Zug nach Kalabrien und wieder zurück bekommst – das ist eine Leistung. Und das sind Bilder, die kann ich immer abrufen.
Prägend war auch die Ausbildung zum Diakon. Ich hatte immer den Wunsch, theologisch mehr zu verstehen. Nie werde ich das zugehörige Praktikum in der Pflege vergessen. Das hat meine Hochachtung und Bewunderung für Pflegekräfte nochmal verstärkt. In diesem Beruf baust du eine ganz besondere Ehrfurcht und Nähe zu den Menschen auf.
Was war für dich stets wichtig in der Arbeit mit Menschen?
Sich einlassen können auf Menschen.
In 27 Jahren Jugendarbeit hast du die Gemeindeperspektive sehr gut kennengelernt – was hat dich in dieser Zeit besonders geprägt?
Im Laufe der Zeit fühlten sich immer weniger Menschen der Kirche verbunden, es gab weniger Kirchensteuereinnahmen, weniger Konfirmanden. Als Beispiel: Die Arbeit der Gemeindeschwestern wurde von den Sozialstationen wahrgenommen – als Folge der Professionalisierung von Pflege. Zunehmend konnten Aufgaben nicht mehr von den Gemeinden geleistet werden, sondern wurden auf Diakonische Werke übertragen. Im Kirchenkreis sind wir in den letzten Jahren nicht weniger Mitarbeiter geworden, sondern –wenn wir die Gemeinden und das Diakoniewerk Simeon gemeinsam betrachten – mehr. Ich denke, es war richtig, sich mit anderen zusammenzutun, um bestimmte Dinge überhaupt noch machen zu können. Diese Offenheit mit Blick auf den Sozialraum hat mich sehr geprägt. Ich finde, Kirche / Diakonie muss generell eine offene Grundhaltung haben.
Siehst du dich eher als Kirchen- oder als Diakoniemenschen?
Ich sehe da keinen Unterschied. Ich kann mir Kirche ohne Diakonie nicht vorstellen und Diakonie ohne Kirche würde den Sinn ihres Handels verlieren. Deswegen ist Kirche Diakonie und Diakonie ist Kirche. Dieses ‚und‘ trennt an vielen Stellen stärker als es nutzt.
Neukölln hat sich stark verändert. An welchen Stellen findest du diesen Wandel am spürbarsten?
Bereichernd und positiv war und ist für mich die kulturelle Vielfalt in unserem Kirchenkreis. Wir hatten türkische Jugendliche im Gemeindejugendrat, was von der Satzung her eigentlich nicht ging, aber die entsprach in dem Fall eben nicht der Realität! Vielfalt, auch von Nationalitäten, ist eine Chance und die betonen wir zu wenig. Wir sollten die Möglichkeiten, uns öfter zu begegnen und voneinander zu lernen, stärker nutzen. Wir als Gesellschaft reden zu oft davon, was schlecht läuft, sollten uns aber auf das Positive konzentrieren: Wie Menschen damit umgehen, wenn sie umsiedeln müssen, weil sie Krieg oder andere Lebensumstände dazu zwingen. Bei mir ist da ein ganz großer Respekt und es macht mich froh, dass unser Werk Menschen durch so viel Beratung und Unterstützung helfen kann.
Du wurdest 2019 als Geschäftsführer ins Diakoniewerk Simeon berufen. Wie war dieser Einstieg?
Es war eine sehr intensive Zeit. Ich wollte Antworten haben, warum Dinge in der Vergangenheit so entschieden worden sind, denn das Schiff musste in eine andere Richtung bewegt werden. Heute haben wir wieder gute Jahresabschlüsse und können unseren Verpflichtungen nachkommen.
Was war dir besonders wichtig in dieser Zeit?
Kommunikation fördern und auf Augenhöhe zu arbeiten. Deshalb haben wir auch das Qualitätshandbuch verändert: Wir haben darin unsere Leitsätze aufgeschrieben und unsere christlichen Grundsätze. Ich finde es wichtig, dass wir uns diese Haltung regelmäßig bewusst machen und Mut machen, sie auch einzufordern. Mitarbeitende sollen sagen können: ‚Ich kann dazu stehen, was die da geschrieben haben.‘ Oder: ‚Ich kann jemanden fragen, wie das gemeint ist.‘ Denn die Mitarbeitenden sind das höchste Gut, was wir haben.
Gibt es ein Projekt für deinen Ruhestand?
Einen Motorradführerschein erlangen. Das ist ein Projekt, von dem ich träume. Ich hatte als 16-Jähriger eine „Vierer“, heute bin ich mit meiner Vespa ganz schön unterwegs und das macht mir einfach viel Spaß.
Olaf Petzold hat 1978 in der Magdalenengemeinde in Neukölln als Erzieher angefangen. Er war 27 Jahre in der Jugendarbeit tätig. 2005 wurde er Geschäftsführer der Kindertagesstätten im Kirchenkreis. Seit 2015 ist er Vorstand des Kirchenkreisverbandes Süd und damit auch Leiter des kirchlichen Verwaltungsamtes, das zuständig für über 80 Kirchengemeinden und 28 Kindertageseinrichtungen in zwei Kirchenkreisen ist. Darüber hinaus ist er seit 2019 Mitglied der Geschäftsleitung des Diakoniewerks Simeon mit rund 1.500 Mitarbeitenden an über 90 Standorten. Ende April verabschiedet er sich in den Ruhestand. Foto: Evangelischer Kirchenkreisverband Süd/Jörg Hentschel.